Hamvas Béla: Karneval (Auszüge)
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Schicksalskatalog,
meiner Meinung nach einer der erschöpfendsten seiner Art, eine Arche
Noah der menschlichen Eigenschaften, eine über alle Sintfluten
hinweggerettete Archiv, ein Bilderbuch also,
eine Charakterologie, letzlich ein
Wörterbuch, eine Inventur, aber ich nehme mich aus diesem Rummel nicht
aus, ich bin die Arche, in der der ganze Zoo auf den Gewässern schwimmt,
ich bin das Geschwätz, und
das ganze ist darin aufgelöst, im
unbezähmbaren Zwang des Sich-Aussprechen-Wollens, ich meine die ganzen
Verrückten und Maniker und Wahnsinnigen und Verkrüppelten und Blöden und
Komödianten und Clowns, all
diese auseinandergebrochenen Leute, und
ich würde es für ungerecht, unwürdig und für meinen Teil einfach für
eine Dreistigkeit halten, wenn ich mich aus diesem infernalischen
Katalog unverschämterweise
ausnehmen würde mit dem Hintergedanken,
bitte sehr, ich stehe für mich, ich gehöre nicht zu ihnen. Sie sehen,
wie dreist ich bin! Aus meiner Frechheit mache ich sogar Moral. Ich bin
genau so wie die
anderen. Ich bin der Schwätzer unter
ihnen, der sich wenigstens einmal in seinem ganzen Leben gründlich
aussprechen will. Eine unangenehme Eigenschaft, das gebe ich zu, ich
glaube, unangenehmer, ja sogar
arroganter und womöglich aufdringlicher
als irgendeine andere, zumindest kommt es mir so vor. Also nahm sich
Mihály Bormester aus dem Katalog nicht aus, und das habe ich von ihm
gelernt, weil ich es für korrekt
hielt, diese Moral des nicht mehr zu
überbietenden Komödiantentums, ich übernahm sie und ich weiss, dass die
Komödie nur dann vollständig ist, wenn nicht nur der Erzähler, sondern
auch derjenige, der das ganze
niederschreibt, darin mit enthalten ist,
also auch ich, als narrus termaximus, als agent spirituel, also als
Vermittler, der von allen der grösste Narr ist. Die Grundthese ist, dass
alle in der Patsche sitzen.
Daraus folgt das empörende Paradoxon,
dass man umso tiefer drin steckt, je mehr man vorgibt, aussen zu
stehen, eitel ist und angibt, dass man um so komischer wirkt, je höher
man die Nase hält, und je
übermenschlicher man erscheinen will,
desto lächerlicher ist es. Eben darum gibt es keine lustigere Haltung
als das Pathos. Das, meine ich, ist die erste Grundthese. In diesem
Bunde fehlt natürlich noch der
Dritte. Wenn der Schwätzer und der
Vermittler sich treffen, springt immer so etwas dabei heraus, also
immer Indiskretion. Aber zum Schwätzer und zum Vermittler muss man
unbedingt noch den Zuhörer
dazurechnen, respektive den Leser, der
muss ins Spiel, das heisst in die Patsche, mit einbezogen werden, sonst
ist der Witz einfach nicht vollständig.
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Mandel. Irre sind wir
alle, und dieser Irrsinn häutet uns langsam, ganz langsam, dafür aber um
so sicherer all das von unserem Gesicht ab, was ruhig ist und
wohlproportioniert und anziehend und rein
und klar und intelligent und was vom
Alter völlig unabhängig ist, und er macht unser Gesicht finster und
eckig und verzerrt und gequält und grausam und hier verhärtet sich das
Gesicht und dort schwillt es
an, die Nase wird obszön, der Mund wie
die Öffnung des Darmkanals, die Wangen quellen unzüchtig auf, das Auge
glitzert duckmäuserisch und gierig, die Stirn verliert ihren Glanz, das
Kinn wird scharf wie ein
Messer, in den Zügen liegen unabwaschbar
schmutziger Schmerz, Hoffnungslosigkeit, Ungläubigkeit,
dumpfer Egoismus, viehisches Verlangen, Hinterhältigkeit und Wut und
Ärger und klebrige
Melancholie. Lächerlich? Das leugne ich
nicht einen Augenblick. Wehe dem, der darüber nicht lacht. Aber wehe
dem, der darüber lacht. Wären Sie imstande, über diese bedauernswert
erschrockenen Wesen zu lachen?
Und wären sie imstande, über diese
Witzfiguren nicht zu lachen? Ob Sie es glauben oder nicht, mir erscheint
die Sache manchmal wie Nonsens. Unwirklich. Gespenster. Natürlich mich
eingeschlossen, denn nähme ich
mich aus dieser Geisterstunde aus, wäre
es nicht korrekt. Und jetzt sage ich Ihnen, mit zweifellos didaktischem
Pathos, aber das ist das einzige, was ich in ihrem Interesse tun kann,
ich bitte Sie, halten Sie
sich nicht heraus aus diesem
universellen, sinnvollen oder sinnlosen Tohuwabohu, die das menschliche
Leben und die Geschichte sind, glauben Sie ja nicht, dass Ihnen eine
Sonderbehandlung zusteht oder je
zustehen wird und Sie wären eine
Ausnahme und der einzige Mensch, für den das, was für alle anderen gilt,
nicht gültig ist. Das hieße doch, sich inhuman zu verhalten und das ist
meiner Meinung nach der erste
und hauptsächliche Grund für das
Zerbrechen und Verzerren und Auflösen und die Verunstaltung aller
Gesichter zu einer tragikomischen Maske. Keine Ausnahme. Laura glaubte,
sie wäre eine Ausnahme. Ameline
glaubte es auch. Schauen Sie sie an. Was
hat der Glaube, sie seien eine Ausnahme, aus ihnen gemacht. Schauen
Sie sich die Kränkung in ihren Gesichtern an. Schauen Sie, wie beleidigt
sie sind. Was für eine
schlecht verborgene Unzufriedenheit sie
unter uns verbreiten und wie sehr sie es uns verübeln, dass sie nicht
die Sonderbehandlung bekommen, die ihnen ihrer Ansicht nach gebührt.
Nein, bis zu meinem letzten
Blutstropfen wehre ich mich dagegen, das
Leben so einzurichten, dass der Mensch sich als eine von der Aussenwelt
und
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Zwei Teller-
Macht nichts-
(Geduld. Zuvorkommend,
friedlich. Bin. Es ist leicht geduldig zu sein für den, der nicht liebt.
Das kann man nur so verstehen, daß ich verrückt bin. Warum? Ohne Liebe
muss ich toben.)
Ich bücke mich und
sammele die Scherben auf, mit dem kleinen Besen fege ich die Splitter
zusammen. Angela steht da und schaut zu. Auf einmal kommt sie und tritt
mir in die Seite. (In jede Quelle
spuckt sie. Warum ist es so?)
Ich stehe auf. Schaue sie wortlos an .
(Geduld. Frieden. Bin.)
Sie schreit mich an. Sie glauben, das geht so?
Was ist los?
Ich bin unglücklich-
In meiner Hand der Besen und die Kehrschaufel. Ich auch, sage ich.
(Ohne Liebe muss man
wahnsinnig werden. Man kann es nur so verstehen, daß sie verrückt ist.
Sie tut, was sie zuhause gesehen hat. Verhauen. Ich lieferte keinen
Grund. Irgendwo abgestürzt und
gestorben.)
Sie rennt ins Zimmer,
wirft sich hin, heult. Ich heize die Küche ein, setze Teewasser auf,
Rührei, Butterbrot und Eingemachtes tue ich aufs Tablett, bringe es
herein und decke den Tisch.
Kommen Sie, sage ich, essen Sie etwas-
Sie steht auf, mit verweinten Augen, setzt sich hin. Essen Sie nur, spricht sie leise, ich will nichts. Immer dieses Essen-
(Giftgiftgiftgift. Das kann man nur so verstehen, daß Gift. Sie muss wahnsinnig werden. Keinen Grund. Höflich. Bin. Gut. Bin.)
Seit heute morgen hab‘ ich nichts gegessen, jetzt ist es halb fünf-
Ich weiß, schlechte Frau, wartet nicht mit dem Mittagessen auf den Mann. Das wollen Sie sagen? Sagen Sie es nur-
(Ich verstehe nicht,
warum ist es so? Was für Fehler mache ich? Verrückt? Irgendwo
abgestürzt. Schmutziges Wasser. Was fehlt ihr? Irrtum.)
Ich nehme vom Rührei, schneide das Brot; und giesse Tee ein, für sie und mich.
Eine Tasse, sage ich. Angela greift die
Tasse und schmettert sie zu Boden. Sie steht auf, geht ins Schlafzimmer
und schlägt die Tür zu.Karneval Projekt here
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